Erstellt am: 05. Apr 2017 von Maren
Kategorie(n): Atmosphäre | Blog
Eine Oma-Geschichte.
Meine Oma ist meist eine sehr fidele, lauffreudige und freundliche alte Dame. Sie rennt unglaublich gerne durch Wald und Wiesen, trifft dabei unzählige andere Menschen und lässt sich deren Lebensgeschichten erzählen. Die sie dann uns weiter erzählt. Unbekannter Weise. Das ist irgendwie niedlich – wirft aber auch die Frage auf, was sie den anderen über uns alles erzählt.
In letzter Zeit kann sie nicht mehr ganz so fidel und gut zu Fuß sein. Rheuma in der Halswirbelsäule und viele Arztbesuche machen es ihr gerade nicht so leicht, ihren gewohnten Beschäftigungen nachzugehen. Ich muss dazu sagen: sie ist wirklich fit für eine 85-jährige, sie wohnt alleine und lässt sich ab und zu das Wasser von meiner Mama nach Hause tragen. Aber das auch nur unter Protest.
Am letzten Wochenende war dann alles anders. Sie war bis Freitag im Krankenhaus, hat ein paar neue Tabletten bekommen und wurde damit nach Hause entlassen. Und auf einmal ging es nicht mehr. Auf einmal war sie ganz anders, ganz unsicher, ganz ängstlich und so gar nicht mehr wie meine Oma. Sie sprach vom Sterben und fragte, warum es ihr so schlecht geht. Sie sprach davon, dass sie nicht mehr kann und dass sie uns alle mit kaputt macht. Sie trauerte darüber, nicht mehr raus zu können und so müde zu sein. Und wir konnten nicht anders, als Tag und Nacht bei ihr zu bleiben, mit hilflosen Versuchen, sie zu beruhigen, ihr Tee und Essen zu kochen und sie wieder aufzubauen. Noch hilfloser mussten wir mit ansehen, dass all das nichts brachte, dass wir nichts tun konnten und sie immer kleiner wurde und immer mehr in ihrer Verzweiflung verschwand. Und wir gleich mit.
Seit gestern ist sie auf einer gerontologischen Station mit Menschen, die sich viel besser um sie kümmern können, als wir. Mit Ärzten, die festgestellt haben, dass ihr Natriumspiegel viel zu niedrig ist und ihre Blutsalze völlig durcheinander geraten sind. Was wiederum meine Oma völlig durcheinander gebracht hat. Und uns.
Ich würde untertreiben, wenn ich behaupten würde, dass uns das nicht erschüttert hat. In den kurzen Momenten, die frei waren für andere Gedanken, habe ich mich gefragt: ist das diese Erschütterung, für die ich frei sein soll?! Wenn die so ist, dann wollte ich sie eigentlich lieber nicht haben. Aber in all der Erschütterung darüber, wie meine Oma auf einmal war, was sie nicht mehr konnte und wollte und in der Verzweiflung, die sich in uns allen festgesetzt hat, gab es Dinge, die ich so noch nie wahrgenommen habe. Die mich auch so sehr erschüttert haben. Da war diese tiefe Verbindung zwischen meiner Mama und meiner Oma, eine ganz große Zärtlichkeit und Sorge umeinander, die an diesem Wochenende so sichtbar geworden ist. Das große Vertrauen ineinander und der Versuch, es zusammen zu schaffen. Und der Stolz auf diese beiden starken Frauen in meiner Familie, die so viel füreinander tun.
Ich glaube, diese Erschütterung wird noch eine Weile halten. Mindestens bis Ostern. Meine Oma wird bis Ostern aufgepäppelt und ihre Blutsalze werden wieder in die richtige Ordnung gebracht. Und dann kann sie hoffentlich wieder durch die Gegend rennen und sich Lebensgeschichten erzählen lassen und 5 Pfund Kartoffeln nach Hause tragen, obwohl sie das eigentlich gar nicht soll.
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